Firma Anton Gottschald & Comp., Neudek / Erzgebirge,
k.k. landesprivilegierte Spitzenfabrik,
Herstellung und Handel mit Spitzen im böhmisch, westlichen Teil des Erzgebirges.
Reflexionen
Hatte ich mich im ersten Kapitel noch gefragt wie es mit der Firma nach dem 2. Weltkrieg weitergegangen, ob und wann die Firma erloschen ist und ob sich noch etwaige Personen der Nachfolgegeneration dieser Kunzmann Familienlinie finden lassen, so hat sich im April 2017 bei den intensiven Recherchen ein erster persönlicher Kontakt zu Harald Kunzmann in Krefeld. Dieser glückliche Zufall führte dann im November 2017 zu einem nochmaligen Treffen wieder in Krefeld und diesmal mit weiteren Familienmitgliedern.
Urplötzlich lagen eine Unmenge an Dokumenten, alten Fotos und Zeitungsberichten vor mir, sodass die Firmen- als auch Familiengeschichte nicht weiter im Dunkeln verborgen bleibt. Erstaunlicherweise kam dabei zusätzlich noch ein Kunzmann Wappen zum Vorschein das die Sache noch interessanter macht.
Ein glückliches Gefühl überwältigte mich sodass ich jetzt eine über 250jährige Firmen- als auch Familiengeschichte zu einem redaktionellen Ende bringen kann. Dafür bedanke ich mich bei den Familien Harald Kunzmann, Iris Kemper, Axel Granzow, Margot und Karl Harkemper sowie Sohn Peter für Ihre freundliche Aufnahme bei meinen Besuch in Krefeld und ihre hilfreiche Unterstützung.
Exkursion
Doch bevor die Fortsetzung der Firmengeschichte von der Filiale Plauen nach Krefeld beginnen kann, ist einiges zum Standort in Neudek aufgrund von bisher nicht gekannten Fotomaterials nachzutragen. Da ist zum einen das Stammhaus des Gründers in Hirschenstand in einem Sonderabzug aus dem Handels-Archiv zum Vorschein gekommen zum anderen bisher unbekannte Fotos zur Fabrik und Familienmitgliedern in Neudek.
Hierzu sei bemerkt, dass in Hirschenstand kein Haus mehr aus der damaligen Zeit stehengeblieben ist. Hirschenstand als auch Sauersack wurden nach dem 2.WK dem Erdboden gleichgemacht. Aber dies ist eine andere Geschichte.
Ein weiterer Hinweis zur Firma Anton Gottschald in Neudek ist in der Broschüre „Frühbuß – Aus der wechselvollen Geschichte des einstigen Bergstädtchens auf dem Erzgebirgskamm“, zu finden. Auf Seite 62 ff beschreibt Franz Achtner seinen Eintritt im Dezember 1935 als Lehrling in die Firma und berichtet dabei unter anderen, dass die Wände im Büro mit Ahnenbildern von Kunzmann Vorfahren dekoriert waren. Aus anderen Erzählungen habe ich erfahren, dass sich darunter auch das Kunzmann Wappen befand.
Da keinerlei Fotos von diesen Gemälden existieren, würde es mich brennend interessieren, wo diese verblieben sind – zerstört, verbrannt, oder?
Dieser Bericht ist ebenfalls unter der Überschrift „Klöppelspitzeneinkauf in Frühbuß und Kohling“ im Neudeker Heimatbrief #242, Seite 2 ff, 30. Jahrgang 1978, erschienen.
Um das Jahr 1900 war Karl Felix Kunzmann mit seinen beiden Söhnen Rudolf Camillo und Josef die treibende Kraft am Standort in Neudek und Wien.
Eine ausführliche Darstellung seines Wirkens ist unter WIKIPEDIA zusammengefasst worden. Rückblickend aus unserer heutigen globalisierten Wirtschaftswelt blieb das Unternehmen über mehrere Generationen hinweg im Privatbesitz, vererbte sich von Generation zu Generation und blieb immer in den Händen der nächsten Verwandten.
Die Firmengeschichte interessiert umso mehr, als das sie nicht mehr vergleichbar mit den heute weltweit tätigen Firmen und Konzernen ist. “Derartige Firmen, wie Anton Gottschald & Co, waren mit dem Namen energischer, zielbewusster Männer verbunden, die sich nicht zufrieden gaben, die Erben von Werten und Gütern zu sein, sondern es bei aller Ehrfurcht vor den von den Vätern übernommen Tradition doch verstanden haben, jeder für sich das Geschäft im Geiste ihrer Zeit weiter auszubauen und ihm eine führende Stellung im Wirtschaftsleben zu sichern.”
Text entnommen aus: Sonderabzug aus dem Prachtalbum, Adolf Ecksteins Verlag, Berlin
Mit Beginn des 1.Weltkrieges 1914 entwickelten sich für die Firma belastende Zeiten, die sich mit dem Ende im Jahr 1918 und danach noch verstärkten. Durch den verlorenen Krieg veränderten sich die politischen Verhältnisse, das Königreich Böhmen brach zusammen und der Staat Österreich / Ungarn hörte auf zu existieren. Die CSSR – Tschechoslowakei wurde auf dem ehemaligen Staatsgebiet im Oktober 1918 ausgerufen und neue Landesgrenzen wurden gezogen. Auch im politischen Parteienspektrum änderte sich vieles zum Negativen für die dort noch lebende deutsche Minderheit.
Die Standorte Neudek und Wien waren nun in zwei unterschiedlichen Staaten ansässig, was zu einer unwiderruflichen finanziellen Trennung der Firma führte. Daraufhin erfolgte im Jahr 1921 die Übernahme der Firma durch Josef Kunzmann in Neudek während Rudolf Camillo die Firma in Wien leitete. Der komplette Geschäftsprozess musste neu strukturiert und komplizierte Zollabwicklungs-prozesse implementiert werden.
Im Staatsarchiv Wien konnte noch ein derartiger Schriftverkehr zwischen der Zollverwaltung in Wien und der Firma in Neudek über einen Antrag eines passiven Veredelungsverkehrs gefunden werden, der jedoch nicht genehmigt wurde.
Die im Jahr 1923 aufkommende Hyperinflation stürzte die Firma in Wien durch Umsatzeinbußen in eine beträchtliche Schieflage. Diese Inflation war eine Folge aus den Reparationsforderungen der Alliierten nach dem verlorenen 1.WK und hatte verheerende Auswirkungen auf die Bevölkerung als auch Firmen. Durch die geschäftlichen Schwierigkeiten in Wien entschloss sich Heinrich Kunzmann Im Jahr 1924 eine Filiale Plauen zu gründen. Plauen lag in Sachsen und gehörte zum Deutschen Reich.
Die noch in Wien aufgenommenen Kredite wurden dann in Teilzahlungen von der Filiale Plauen abgelöst. Überraschend kam dann noch der Tod von Josef Kunzmann Sen. im gleichen Jahr hinzu. Dies wiederum hatte zur Folge, dass seine drei Söhne Josef jun., Heinrich und Leo das Neudeker Geschäft kurzfristig übernehmen mussten.
Im nächsten Abschnitt sind nun die bisher unbekannten Fotos der Firma in Neudek den rein zufällig vom gleichen Standort gemachten Fotos aus den Jahren 2015 bzw. 2017, gegenübergestellt.
Damit ergibt sich bei der Spurensuche ein aufschlussreicher Vergleich zwischen „Damals und heute“ für den Betrachter.
Neudek: Fotos Damals – Heute
Gründung der Filiale Plauen
Wie bereits erwähnt, kam die in Wien errichtete Filiale im Jahr 1923 aufgrund der Deflation und den damit verbundenen Umsatzeinbußen in eine beträchtliche wirtschaftliche Schieflage, die nur mit zusätzlichen Krediten bewältigt werden konnte. Man entschied daher, auch im Hinblick auf die neue Situation der Ländergrenzen im Jahr 1924, eine neue Filiale Plauen / Vogtland (Sachsen) zu gründen.
Zu dieser Zeit lag die Filiale Wien in Österreich, der Standort Neudek in der Tschechoslowakei und die neu zu gründende Filiale Plauen im Deutschen Reich. Also in drei unterschiedlichen Ländern was wiederum eine finanzielle Trennung des Firmenverbundes zur Folge hatte. Erschwerend kam hinzu, das Josef Kunzmann, der Vater, der drei Söhne [Josef, Heinrich, Leo] im Jahr 1923 plötzlich verstarb und so musste erst mal das Hauptgeschäft in Neudek übernommen werden.
Erst im Jahr 1924 begann dann der Aufbau der Filiale Plauen. Unter den drei Brüdern oblag es nun Heinrich, sich dieser Aufgabe zu stellen. Heinrich wurde am 19.8.1900 in Neudek geboren, besuchte die dortige Volks-, die Bürger- und danach die Oberrealschule in Graz und anschließend die Deutsche Handelsakademie in Prag, welche er 1919 erfolgreich absolvierte. Nach einer einjährigen Lehrzeit in der väterlichen Firma in Neudek, ging er im Jahr 1921 als Volontär in die Wiener Filiale um dann von 1922 bis 1924 wieder in der Firma des Vaters in Neudek tätig zu sein.
Die neue Filiale entwickelte sich normal und zwei bis drei Angestellte sorgten für den Umsatz der Firma, welche sich zufällig sinnigerweise in der Gottschaldstraße 16, vorher Heinrichstraße 16, befand.
Jedoch mussten mit den Umsatzerlösen in Plauen noch die alten Kredite in Wien getilgt werden, was in diesen schwierigen Zeiten nicht ganz einfach war und mit sehr viel Verhandlungsgeschick von Heinrich Kunzmann mit den Banken bewältigt werden musste. Mit der Machtübernahme von Hitler im Jahr 1933 verschärfte sich der Handel mit dem Standort Neudek in der Tschechoslowakei zunehmend, sodass Heinrich Kunzmann die Firma in Plauen als Alleininhaber im Jahr 1936 übernahm.
Im Laufe der Jahre wurde jetzt ein höherer Wert auf die Konfektion von hochwertigen Gardinen gelegt. Von 1934 an war die Firma mit ihren Produkten als ständiger Aussteller auf der Leipziger Messe vertreten. Im damaligen Reichsgebiet hatte man gute Geschäftsverbindungen innerhalb Textilbranche aufgebaut und konnte so mit fünf Handelsvertretern das Geschäft abwickeln.
Mit Beginn des 2. Weltkrieges im September 1939 und dem Einmarsch von deutschem Militär in Polen, wandelte sich die Situation für die Firma schlagartig. Heinrich Kunzmann wurde im April 1940 als Rekrut zum Militärdienst eingezogen und bei der Luftwaffen-Baukompanie in Neumünster / Schleswig Holstein ausgebildet. Zuletzt war er als Unteroffizier beim Bodenpersonal des Fliegerhorstes Plauen stationiert und viereinhalb Jahre lang Soldat gewesen. Innerhalb seiner Kriegszeit war die Firma nicht aktiv. Mit der Kapitulation am 28. Mai 1945 wurde seine Kompanie aufgelöst und er wurde ordnungsgemäß als Unteroffizier aus dem Militärdienst entlassen.
Die Stadt Plauen mit ca. 111.000 Einwohnern geriet in der Schlussphase des 2. Weltkrieges vor allen wegen seiner rüstungswirtschaftlichen Bedeutung und zentralen Verkehrslage in das Visier der alliierten Luftkriegsplanung. In der Zeit vom 12. September 1944 bis 10./11. April 1945 erfolgten 14 Luftangriffe auf Plauen, die von britischen RAF Bomber Comand und von der 8. Luftflotte der USAAF (United States Army Air Forces) durchgeführt wurden. Beteiligt daran waren 1.689 strategische Bomber und 50 Schnellbomber, die 4.925 Tonnen an Bombenlast auf die Stadt abwarfen. Ziele waren Industrie- und Verkehrsbetriebe sowie die Wohnstadt. Mehr als 75% der Gebäude wurden zerstört, über 2.358 Todesopfer darunter ca. 54% Frauen, waren zu verzeichnen.
Nicht nur die Gebäude der Firma in der Gottschaldstraße 16 wurden bei dem Angriff vom 10./ 11. April 1945 durch Phosphor Bomben vollkommen zerstört sondern auch die Privatwohnung von Heinrich Kunzmann in der Engelstraße 18.
Alle Vorräte, Maschinen, Materialien, welche im Keller gelagert waren sowie alle Unterlagen wurden ein Raub der Flammen und gingen für immer verloren. Der Totalverlust setzte sich anschließend durch die restlose Plünderung sämtlicher Ausweichlager in denen wertvolle Stoffe und Materialien gelagert waren, fort. Kurz vor dem letzten Bombenangriff auf Plauen wurde seine Ehefrau mit den drei Töchtern sowie mit einem kleinen Teil an Materialien, Bekleidung und lebensnotwendigen Vorräten nach Gutenfürst (Nähe Weischlitz / Sachsen) evakuiert. In einem ausgebauten Ziegenstall hat Heinrich Kunzmann nach Kriegsende seine Familie dort wiedergefunden.
Mit der bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945 wurde Deutschland in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Die Stadt Plauen war nun unter russischer Verwaltung und lag in der Ostzone, aus der dann später die DDR (Deutsche Demokratische Republik) unter einer SED geführten kommunistischen Regierung hervorging. Noch im gleichen Jahr nach Kriegsende wurde mit dem Wiederaufbau der zerstörten Firma in Plauen begonnen. Eine ältere ehemalige Mitarbeiterin unterstützte Heinrich Kunzmann tatkräftig bei diesen Vorhaben.
In den Ruinen fand man geeignete Räume und mietete sie an. Die kaputten Fenster wurden notdürftig mit Pappe vernagelt. Nägel und Nähmaschinen suchte man sich aus den Trümmern zusammen und reparierte sie kurzer Hand. Näherinnen wurden auf der Straße gesucht und gefunden, welche froh waren, in dieser harten Zeit, wieder arbeiten zu können, sodass es bis 1948 wieder so etwas wie eine Art Näherei in Gang kam. Es war eine schwierige Zeit, zu essen gab es kaum etwas, Textilien waren Mangelware und aus allem was man gerade so finden konnte wurde etwas hergestellt. Aus gefundenen Stoffresten in den Trümmern wurden Gardinen genäht. Es wurde einfach alles gebraucht, was man nach der Zerstörung der Stadt, finden konnte.
Im Jahr 1946 entzog man Heinrich Kunzmann den Gewerbeschein, das einer Enteignung gleichkam.
Bildquelle: Axel Granzow, Krefeld
Was waren die Hintergründe: Heinrich Kunzmann war sehr früh Mitglied der NSDAP (National Sozialistische Deutsche Arbeiter Partei), jedoch nie wirklich aktiv. Was ihn dazu bewog, Mitglied zu werden, wir wissen es heute nicht mehr.
Der Antrag für eine Betriebserneuerung im Januar 1946 wurde durch die Stadtpolizei Plauen abgelehnt. In der Begründung heißt es: „Seit November 1931 sind Sie Mitglieder der NSDAP und haben so die Hitlerherrschaft freiwillig gefördert. Unter diesen Umständen steht es mit den Belangen eines antifaschistischen Staates im Widerspruch, Ihnen die Ausübung des Gewerbe auch weiterhin zu gestatten, andernfalls die Gefahr besteht, dass der Neuaufbau im Wirtschaftslebens und die öffentliche Ordnung gestört werden“.
Er wurde jetzt als Erdarbeiter verpflichtet wobei es ihm später gelang, bei einer befreundeten Firma, die auch verstaatlicht wurde, als Textilhilfsarbeiter bis 1948 tätig zu sein. Um die Firma trotzdem am Leben zu erhalten, entschloss sich Heinrich Kunzmann, mit einer damaligen Angestellten, einen Geschäftsübernahme-Vertrag abzuschließen in dessen Folge er die Firma an diese verkauft und diese wiederum als Treuhänderin gegen eine angemessene Entschädigung die Betriebsführung erledigte.
In den Jahren von 1935 bis 1944 waren durchschnittlich 20 Personen im Hause und ca. 60 Heimarbeiterinnen beschäftigt.
Nachdem Heinrich Kunzmann im Jahr 1948 erfuhr, dass er durch die SED-Behörden unter Polizeiaufsicht gestellt und bespitzelt wurde, das Gewerbe entzogen und damit enteignet war, sah er keine Möglichkeit mehr, in der DDR mit seiner Firma wieder auf die Beine zu kommen. Sein Schwiegervater, Curt Panzer, Direktor der Meissner Porzellanmanufaktur bis 1945 ist auf einem Gefangentransport mit der Bahn von Bautzen in das NKWD Lager Tost (Toszek/Polen) gestorben und an der Bahnstrecke in Sachsen beerdigt worden. Noch im gleichen Jahr, erhielt er von einem ehemaligen Kriegskameraden ein Angebot nach Rheinberg/NRW zu kommen, da dieser dort ein Hotel betrieb. Dies alles veranlasste ihn, im November 1948, vorerst allein in den Westen zu flüchten. In Rheinberg angekommen, war das Hotel mit Ostflüchtlingen völlig überbelegt und er konnte nur eine kleine Bodenkammer als Notquartier beziehen.
Jedoch im nahe gelegenen Krefeld, das von Kriegsschäden auch nicht verschont blieb, hatte ein Vorkriegskunde von der Firma Anton Gottschald, das Teppichhaus Esser, das zerstörte Wohnhaus gerade wieder aufgebaut. Herr Esser bot ihm an, zwei Zimmer im Dachgeschoss des Gebäudes zu beziehen, was er dankend angenommen hat. Jetzt war die Zeit gekommen, auch seine Familie in den Westen zu holen. Zwischenzeitlich wurde die Zonengrenze immer schärfer von Grenzsoldaten bewacht. Eine Flucht gestaltete sich daher immer gefährlicher. Mit Hilfe eines guten Bekannten, der in Grenznähe einen Bauernhof besaß, gelang in einer Nacht und Nebelaktion auch diese Flucht in den Westen. Unter diesen glücklichen Umständen konnte er, nur vier Wochen später, an der Zonengrenze bei Hof / Oberfranken, seine Frau mit den drei Töchtern in die Arme schließen.
In den folgenden Jahren nach 1949 verließen viele Bürger wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse die DDR und siedelten in den Westen. Der Regierung der DDR gelang es nicht, diese Menschen freiwillig im Land zu halten. Aus diesem Grund wurde 1952 damit begonnen, die Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik durch Zäune und Bewachung zu sichern. Es wurde eine 5 Km breite Sperrzone auf der Ostseite eingerichtet und in den 1960ziger Jahren mit Selbstschussanlagen gesichert. Diese Grenze, auch als der „Eiserner Vorhang“ bezeichnet, wurde von 50.000 Grenzsoldaten auf einer Länge von ca. 1400 Km strengstens bewacht.
Rückblickend in die Zeit vom Oktober 1949 bis zum Fall der Berliner Mauer am 9.Nov.1989 nahm nach 40 Jahren die SED-Herrschaft mit ihren schikanösen Bespitzelungen der Bevölkerung und mit vielen Toten bei den Fluchtversuchen an der Grenze, ein Ende. Trotzdem mussten noch viele Hindernisse aus dem Weg geräumt werden um die beiden deutschen Staaten wieder zu vereinigen.
In den verschiedenen Adressbüchern von Plauen findet man seine damaligen Wohnanschriften:
- 1927 Melanchtonstr. 41 Kfm. bei Anton Gottschald
- 1929 Mozartstr. 20 Kfm. bei Anton Gottschald
- 1933 Lützowstr. 49 Kfm. bei Anton Gottschald
- 1942 Engelstr. 18 nur als Kaufmann
- 1946 Am unteren Bahnhof als Erdarbeiter
- 1947 Krausstr. 17 als Arbeiter
Krefeld – der Neubeginn der Firma im Jahr 1949
In Krefeld angekommen, konnte die Familie dann die drei neu eingerichteten Zimmer beziehen. Nach dem Motto, „eine Hand wäscht die andere“ hatte Heinrich Kunzmann einige Wochen zuvor beim Einrichten des neuen Geschäftes der Fa. Teppich Esser, tatkräftig geholfen. Das Teppich- und Gardinenhaus Esser wurde in Krefeld zu einer Topadresse und stellte in der damaligen Zeit das erste Haus am Platze.
Bildquelle: Axel Granzow, Krefeld
Am 27. Dezember 1948 meldete Heinrich Kunzmann sein neues Gewerbe für den 1. Januar 1949 an. Der Eintrag ins Handelsregister erfolgte im Juni des gleichen Jahres unter der Nummer: H R A 5 7 2 3
Bildquelle: Axel Granzow, Krefeld
Noch bevor er damit begann, seine eigene Firma einzurichten, half er einem alten Bekannten in Mönchen Gladbach, dessen Gardinenfirma aufzubauen. Als dies erledigt war, konnte er sich nun in seiner „Freizeit“ um die Belange der eigenen Firma kümmern. Er arbeitete bald Tag und Nacht, aktivierte alte Kundenkontakte soweit er die Adressen noch im Kopf hatte, um sein Unternehmen schnell wieder in der Textilbranche zu etablieren. Auch seine älteste Tochter Inge spannte er zu diesen Vorhaben mit ein.
Auf der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten für seine Firma fand Heinrich Kunzmann per Zufall einen Flachbau in Krefeld-Oppum, der sich in der Borsigstraße 16 befand und der einer Garagenzeile ähnelte. Diese Immobilie war günstig gelegen, denn sie lag in der Nähe des Großmarktes und der nahegelegenen Autobahnzufahrt.
Bildquelle: Axel Granzow, Krefeld
Mit Hilfe des Vermieters, der ein Baugeschäft hatte, wurden neue Fenster und Türen in das Gebäude eingebaut. Der erste Schritt war getan und so konnte eine kleine Näherei, Abteilungen für den Zuschnitt und den Versand, sowie das Lager und ein Büro hergerichtet werden. Später folgte dann noch ein Raum für die Buchhaltung in der ersten Etage. Das Personal der Firma bestand in den Anfängen aus zwölf Näherinnen, einer Sekretärin – früher Direktrice genannt – und zwei Bürokräften sowie Heinrich Kunzmann selbst als Chef der Firma und seiner ältesten Tochter Inge. Zu dieser Zeit betrug die Wochenarbeitszeit einschließlich der Samstage 48 bis 50 Stunden. Heute im Jahr 2018 undenkbar und kaum zu glauben. Die Stundenlöhne lagen im Durchschnitt bei 1.50 DM (Deutsche Mark) und das VW-Käfer Standardmodell kostete 4.150 DM.
Bei all dem darf man nicht vergessen, auch die Stadt Krefeld, hatte unter dem verheerenden Krieg stark gelitten. Krefeld produzierte für die Rüstung, die Deutschen Edelstahlwerke lieferten hochwertiges Metall und die Seidenindustrie Stoff für die Fall-schirme. In der Nacht vom 21./22. Juni 1943 brach das Inferno über Krefeld herein. 661 englische Bomber waren 1033 Tonnen Spreng- und 1041 Tonnen Brandbomben ab. 1.036 Menschen starben und 9.349 wurden verletzt. Die gesamte Innenstadt war auf rund vier Quadratkilometern dem Erdboden gleichgemacht und 82 % der Wohnungen waren zerstört oder schwer beschädigt.
Überall wurden die Kriegsschäden beseitigt, neue Häuser im Schnellverfahren wieder aufgebaut und beschädigte Häuser repariert, sodass man kaum an Ware kam, weshalb die Nachfrage nach Gardinen und Stores für die neuen Fenster zu dieser Zeit riesig war.
Mit Heinrich Kunzmanns Bruder Leo Kunzmann, trat nun ein weiteres Familienmitglied der Firma bei. Leo, der früher Mitinhaber der Firma in Neudek gewesen war, lebte in Erfurt und war zu diesem Zeitpunkt arbeitslos. Heinrich bot ihm jetzt eine Stelle als Versandleiter an, was er dankend angenommen hat. Leo zog daraufhin mit seiner Frau Hilde von Erfurt nach Krefeld. Kurze Zeit später holte er seinen Schwager Dr. Karl Stieff mit seiner Frau Martha und Tochter Sieglinde nach Krefeld. Bei der Familie Stieff lebte noch Harald Kunzmann, ein Cousin von Tochter Sieglinde, dessen Vater Josef Kunzmann, ebenfalls ein Mitinhaber der Firma in Neudek gewesen war und im Jahre 1947 verstorben ist.
Im April 1949 war Heinrich Kunzmann erstmals auf einer Textilmesse in Hannover mit einigen seiner Stoffmuster vertreten, um auf sich aufmerksam zu machen. Er konnte dabei gute Erfolge erzielen und machte sich so wieder einen guten Namen in der Gardinenbranche. Ein weiterer Vorteil ergab sich aus der Situation, dass es auf dem Gardinenmarkt noch nicht sehr viele Anbieter gab. Daraus entwickelten sich dann die jährlichen Messebesuche, die zwar erst mal kostspielig waren, jedoch den Umsatz erhöhten und zu einem höheren Ansehen im In- und Ausland führten. Wie das so üblich ist, werden auf Messen nicht nur Aufträge getätigt, sondern auch viele Kontakte mit Verbänden, Versandhändlern und Konzernen vorbereitet. Diese Kontakte führten im Laufe der Jahre dazu, dass viele Aufträge mit ausländischen Firmen abgewickelt werden konnten, welche in Holland, Island, Österreich, Kuwait und sogar in Südafrika, beheimatet waren.
Im Laufe der Jahre stieg der Umsatz stetig an was dazu führte, dass die Räumlichkeiten in der Borsigstraße 16 nicht mehr ausreichten und zu eng wurden. Das rief die zuständige Gewerbepolizei auf den Plan, die Größe der Arbeitsräume in einem ausführlichen Bericht beanstandete. Bereits in einem Schreiben vom September 1950 wurde der Firma daher vom Gewerbeaufsichtsamt eine Frist bis zum Dezember 1951 gesetzt, um geeignete neue Räumlichkeiten zu finden. Nur mit Mühe konnte immer wieder eine Verlängerung der jeweils kurzen Nachfristen erreicht werden. Doch im Mai 1953 war dann damit endgültig Schluss und es musste gehandelt werden.
Bildquelle: Axel Granzow, Krefeld
Immerhin waren zu diesem Zeitpunkt 24 Arbeiterinnen, 11 Angestellte, 1 Lehrling, 10 Heimarbeiterinnen und 8 Handelsvertreter beschäftigt. Trotz dieser turbulenten Zeit mit dem Gewerbeaufsichtsamt stellte Heinrich Kunzmann im August 1951 den Handelsvertreter Günter Granzow ein, der sich im Januar 1952 mit der Tochter Inge verlobte, diese später heiratete und dadurch ein offizielles Familienmitglied wurde. Es war ein großes Familienfest wobei sich die Belegschaft der Firma über diese Nachricht sehr freute. Die Anzahl der Blumen und Geschenke waren unvorstellbar und drückten die Freude darüber aus.
Mit der endgültigen Frist im Nacken seitens des Gewerbeaufsichtsamts Krefeld wusste Heinrich Kunzmann als Kaufmann um die Lager in dieser Situation. In seinen Gedanken hatte er zwei Pläne parat:
Erstens: den Versuch beim Landesausgleichsamt in Düsseldorf einen Kreditantrag für ein Darlehen zu stellen, und Zweitens: war es einfach Zeit zu schinden, Zeit um in aller Ruhe ein geeignetes neues Grundstück zu finden. Der erste Plan, einen Kredit zu bekommen, wurde aus unergründlichen Motiven im Behörden Wirrwarr abgelehnt. Der zweite Plan mit der Suche nach einem neuen Grundstück verlief anfangs nicht in dem gewünschten Rahmen. Einerseits waren die Grundstücke in Wohngebieten in denen kein Gewerbe genehmigt wurde anderseits hatten diese keine gute Verkehrsanbindung.
Doch warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute doch so nah liegt. Schräg gegenüber dem alten Firmengebäude in der Borsigstraße 16 befand sich das Hotel / Gaststätte Tenten wobei sich neben dem Hotelgebäude eine große Grünfläche befand, ideal für einen Neubau in der Borsigstraße 25. Nach vielen Gesprächen und Verhandlungen mit Frau Tenten, war diese bereit, einen Teil ihres Grundstückes über 1531 m2 zu verkaufen. Damit gelang der Durchbruch und mit einem Kostenvoranschlag von 149.350,– DM begann man im Frühjahr 1953 mit dem Neubau in der Borsigstraße 25.
Bildquelle: Axel Granzow, Krefeld
Nach und nach entstanden das Vorhaus für den Empfang, ein Verkaufsraum, das Chefbüro sowie eine komplette erste Etage, welche für Wohnzwecke vorgesehen war.
Wieder einige Zeit später kam noch eine Aufstockung für die Näherei dazu. Alle Gebäude waren von Grünflächen umgeben und hatten eine große lichtdurchflutete Fensterfront. Durch die Hofeinfahrt gelangte man zum hinteren Betriebsbereich mit Packerei und Versand.
Der Umzug von der Borsigstraße 16 auf die andere Straßenseite in Nummer 25 konnte am 30. November 1953 vollzogen werden. Die gesamte Belegschaft legte Hand an um bei dem Umzug zu helfen. Die Wohnungen im Neubau waren für die zukünftigen Eheleute Günter Granzow und Inge Kunzmann sowie für Olga Panzer, die Schwiegermutter von Heinrich Kunzmann, vorgesehen. Aber auch die langjährige Schnittdirektrice, Frau Lorenz, sollte hier ihr neues Zuhause finden. Danach folgte ein Flachbau für weitere Büros, in den die Buchhaltung, der Versand, die Packerei und das Lager ihren Platz fanden.
Im gleichen Jahr 1953 erfolgten trotz der umfangreichen Vorbereitungen für den Umzug, die Teilnahme an den Textilmessen in Köln und Hannover mit einem eigenen Ausstellungsstand. Endgültig konnte dann die Aufnahme der Arbeit im neuen Firmendomizil im Dezember 1953 aufgenommen werden. Aus Kostengründen wurde von einer großen Eröffnungsfeier abgesehen und nur über eine Ankündigung bei Kunden, Lieferanten und Pressenotizen in den wichtigsten Fachblättern vorgenommen. Die regionalen Tageszeitungen berichteten ausführlich über den Umzug. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte entwickelte sich der Umsatz der Firma stetig weiter und im Jahr 1970 konnte Heinrich Kunzmann seinen 70. Geburtstag feiern.
Impressionen von den Textil Messen
Zum 200 jährigen Jubiläum der Firma im Jahr 1950 richtete Erich Weigel, Plauen, im August die folgenden Worte an Heinrich Kunzmann:
Zwei Jahrhunderte wechselvoller deutscher Geschichte liegen zwischen diesen Jahren, die höchsten Glanz ebenso sahen wie tiefsten Niedergang. Einzelschicksale wurden durch diesem Brodel wie Spielbälle umhergeschleudert, und Werte versanken über Nach im Nichts. Umso mehr verdient es Bewunderung, dass es Ihrer Firma allen Nöten zum Trotz gelang, sich immer wieder lebensfähig zu erhalten. Als bewundernswerteste Leistung muss man es aber bezeichnen, dass Sie durch Ihre persönliche Leistung die Firma über die Misere der jüngst vergangenen Jahre retteten, allen menschlichen Widerwärtigkeiten zum Trotz. Bei Ihrem zähen Wiederaufbau wünsche ich Ihnen auch weiterhin von ganzem Herzen Erfolg und persönlich Gesundheit und Schaffensfreude. Möge der diesjährige 19. August zu einem Meilenstein auf dem Wege zur Blüte Ihrer Firma werden.
Im Jahr 1970 feierte er nicht nur seinen 70. Geburtstag sondern er konnte gleichzeitig auch auf ein erfolgreiches 50 jähriges Arbeitsjubiläum zurückblicken.
Bildquelle: Axel Granzow, Krefeld
Im Laufe der Jahre konnte sich Heinrich Kunzmann durch seine Tatkraft und sein fachliches Können in der Textilbranche wieder einen guten Namen erwerben sowie sein Geschäft mit innovativen Produkten erweitern. Ein sehr seltenes Betriebs-Jubiläum war dann im Jahr 1975 zu verzeichnen – 225 Jahre Firma Anton Gottschald & Co im Familienbesitz – Heinrich Kunzmann gelang es mit Zielstrebigkeit, Wagemut und Weitblick das Unternehmen in die achte und neunte Generation zu führen.
Doch im Juni 1975 traf die Familie ein Schicksalsschlag und Heinrich Kunzmann verstarb nach kurzer, schwerer Krankheit. Er war über 50 Jahre die treibende Kraft der Firma und fehlte jetzt plötzlich.
Bildquelle: Axel Granzow, Krefeld
Mit 225 Jahren im Rücken übernahm nun sein Schwiegersohn Günter Granzow die Fortführung der Firma. Zu diesem Zeitpunkt war Günter Granzow bereits 24 Jahre in der Firma tätig. Ihm oblag es nun, die Familientradition erfolgreich in die weitere Zukunft zu führen. Im Jahr 1991 wurde Tochter Iris in die Firmenleitung mit eingebunden.
Bildquelle: Iris Kemper, Krefeld
In den Jahren nach 1975 bis in das Jahr 2001 ging der wirtschaftliche Wandel auch nicht spurlos an der Firma vorbei. Der Wohnstil änderte sich in der Bevölkerung und Gardinen entsprachen mehr oder weniger bald nicht mehr dem Zeitgeist.
Jedoch das 250-jährige Bestehen der Firma konnte am 19. August 2000 mit Glückwünschen seitens der Industrie- und Handelskammer Mittlerer Niederrhein, Krefeld und mit einer Vielzahl von Anerkennungen an diesem Ehrentag gefeiert werden.
Bildquelle: Iris Kemper, Krefeld
Mit Iris, der Tochter von Günter Granzow, stand zwar ab 1991 die Nachfolge bereit, doch allein wirtschaftliche Gründe führten am 28. Dezember 2001 zur kompletten Auflösung des Unternehmens. Zuvor waren jedoch Geschäftsbetrieb und Immobilie getrennt, die Kommanditisten ausbezahlt und die Immobilie veräußert worden, um die Kredite bei den Banken begleichen zu können.
Bildquelle: Hubert Kunzmann, Hünfelden
Fazit
Eine derartige Familien- aber auch Firmengeschichte mit den vielfältigen Facetten in der historischen Weltgeschichte zu recherchieren und chronologisch von 1750 bis in die heutige Zeit zu verfassen, ist nur mit viel eigenen Interesse über die Jahre hinweg möglich gewesen. Die Geschichte ist nicht linear, sie springt in die Zeit, verbindet Abschnitte der Handlungen miteinander und versucht den Personen der Geschichte wieder ein Gesicht zu geben um sie der Vergangenheit zu entreißen. Vielfältige Begegnungen im böhmischen Erzgebirge aber auch in Krefeld mit den Nachkommen dieser Kunzmann Familienlinie und mit bisher nicht gekannten Menschen haben dazu beigetragen, die die Geschichte zu einem redaktionellen Ende zu bringen.
Danke an alle Personen die mich bei diesem Projekt in irgendeiner Weise unterstützt haben.
Bildquelle: Hubert Kunzmann, Hünfelden